Andacht

Andacht

Liebe Leser, 

„Das gib einen Eintrag ins Muttiheft“, sagt der Lehrer streng. Und dann geht das Kind mit einem zentnerschweren Rucksack nach Hause. Was wird die Mutter sagen? Ist sie wütend oder viel schlimmer: enttäuscht und traurig? Der Eintrag als schriftliche Beschwerde über mangelhaftes Verhalten kratzt am Selbstwertgefühl. Wenn eine Dummheit aufgeschrieben wird, bekommt sie Gewicht. Der Monatsspruch für Februar aus dem 2. Timotheusbrief klingt ganz ähnlich: 

Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit. Die Bibel als Gottes blauer Brief an uns. Das wirkt unangenehm und befremdlich. Ist das so gemeint wie ein Eintrag? Vermutlich ist es in vielen Fällen so missverstanden und gehandhabt worden. Und zwar an dem Punkt, wo sich Menschen als ausführende „Lehrer“ in die Rolle Gottes erhoben haben und glaubten, über andere urteilen zu dürfen. Aber hier wird klar formuliert: das sollen die Schriften tun, nicht die Menschen. Nun ist das so eine Sache: die Bibel als Buch mit Seiten kann aktiv nicht handeln, oder doch? Vielleicht ist es lohnenswert, sich mit ihr zu beschäftigen, sie sozusagen wirken zu lassen und sich ins Gespräch zu finden. Mit Freunden, Partnern und auch mit einem Geistlichen. Miteinander und auf Augenhöhe. Der direkte Austausch, das Ausräumen von Missverständnissen und die Möglichkeit, sich zu erklären, das wäre pädagogisch auch der geeignetere Weg als der Eintrag ins Muttiheft. Reden hilft. Ich bin davon überzeugt, dass Gott uns nicht unsere Schulden vorhält und sie uns auf der Seele liegen lässt. Er hilft sie uns tragen. Damit wir uns nicht niederdrücken lassen, sondern versuchen, es besser zu machen. Dazu gehört, dass ich merke, wo ich daneben lag und auch, dass ich sehe, was das beim anderen anrichtet. Dazu gehört, dass es mir leidtut und ich das sage. Dass mich die Bibel dazu befähigen kann, glaube ich sehr. Ich lese sie deswegen vielmehr als Liebesbrief Gottes an die Menschen. Denn von jemandem, der mich liebt, lasse ich mir viel sagen. Das weiß auch Albrecht Gralle:

Freunden kann auch mal der Kragen platzen, wenn sie mit dir reden, aber nur, weil ihr Herz für dich bis zum Hals schlägt. Freunde kämpfen nächtelang im Gebet für dich und sagen dann: Ich habe neulich an dich gedacht! Freunde können es sich leisten bei einem Witz, den du erzählst, nach der Pointe zu fragen. Freunde geben dir im Winter ihr letztes Hemd und behaupten, sie wollten sich sowieso gerade sonnen. Freunde machen es so ähnlich wie Gott: sie mögen dich so, wie du bist, trauen dir aber zu, dass du dich verändern kannst.

Herzliche Grüße und ein gesegnetes Osterfest wünscht Ihnen
Ihre Pfarrerin Friederike Kaltofen